Ein wichtiger Unterschied von alten Rollenspielen zu modernen Systemen besteht darin, dass sie oft über kein einheitliches Task-System verfügen, sondern viele verschiedene Möglichkeiten und Prozeduren anbieten, bestimmte Vorgänge spieltechnisch darzustellen. Classic Traveller ist da nicht anders und beinhaltet schon in den Grundregeln viele kleine Untersysteme, die fast als eigenständige kleine Spiele durchgehen könnten. Wenn man die Regeln aus den diversen Ergänzungsbüchern und Abenteuern dazunimmt, entstehen dann tatsächlich ganz neue Spiele/Spielweisen, die sich anders anfühlen und ablaufen, als eine "normale" Kampagne. Schauen wir uns das mal im Detail an:
Bereits die Charaktererschaffungsregeln aus Book 1: Characters and Combat sind quasi ein kleines Spiel im Spiel. Der Spieler entscheidet sich für einen Beruf und muss dann so viel Dienstzeiten (die jeweils 4 Jahre dauern) absolvieren, bis er ausgemustert wird, oder der Spieler sich entscheidet, dass der Charakter gut genug und fertig ist. Dabei muss für jede Dienstzet gewürfelt werden, ob der Charakter die 4 Jahre überlebt, ob er befördert wird und welche Skills er bekommt. Durch das teilweise hohe Risiko, dass der Charakter während einer Dienstzeit stirbt, muss der Spieler immer wieder neu überlegen, wie weit er noch gehen möchte.
Auch das Handels-System kann als eigenständiges kleines Spiel betrachtet werden, wenn man es aus dem Gesamtrahmen herausnimmt und eigenständig spielt. Wenn man dann mit seinem Schiff von Welt zu Welt fliegt, handelt man vornehmlich die entsprechenden Würfel-Prozeduren ab und würfelt auch ab und zu mal eine Zufallsbegegnung aus, um etwas Action und mehr Risiko für die Charaktere mit einzubringen. Ansonsten läuft diese Spielart aber sehr abstrakt ab, ohne viel Rollenspiel. Tatsächlich hat Traveller etwas von einem riesigen Brettspiel an sich, dessen Schwerpunkt auf Ressourcenmanagement und taktischen Entscheidungen liegt, wenn man das möchte. Hierfür ist dann nicht einmal ein Spielleiter nötig. Das "Spielbrett" ist dann die Subsektorenkarte, auf der man sich beim spielen hin- und herbewegt.
Eine weitere interessante Möglichkeit bieten die Kampfsysteme. Für Classic Traveller sind eine Reihe an Zusatzregeln erschienen (z.B. Snapshot, Striker), mit denen man die Kampfregeln für die Nutzung von Miniaturen optimiert hat. Diese können als Ergänzung zu den normalen Regeln benutzt, oder auch als eigenständige Spiele gespielt werden. Ob kleiner Kampf mit einigen wenigen Figuren (Snapshot), Gefechte mit Fahrzeugen (Striker), Raumschiff-Kämpfe (Mayday / Book 2: Starships) - Möglichkeiten gibt es viele.
Wenn man sich das alternative Raumschiffkampfsystem aus Book 5: High Guard anschaut, stellt man fest, dass es recht abstrakt ist und darum hervorragend als System für größere Raumschlachten zwischen großen Schiffen und sogar ganzen Flotten dient. Nimmt man dann noch Adventure 5: Trillion Credit Squadron dazu, erhält man wieder ein komplett neues ganzes Spiel, bei dem es um das Management der Kampfflotten der Spieler geht und man sich mit ihnen, ähnlich wie bei der Händler-Variante über die Sektorenkarte bewegt und in mehreren Schritten pro Spielzug seine Ressourcen verwaltet, oder im Kampf gegeneinander antritt. Diese Variante ist auch als Turnier spielbar.
Áuch als Rollenspiel setzt Traveller durch seine Erweiterungsbücher immer neue Schwerpunkte, die jeweils unterschiedliche Kampagnen- und Spielarten ergeben: Die Grundregeln eignen sich optimal für allgemeine Sci-Fi-Abenteuer und Freihändler-Kampagnen, während z.B. das Ergänzungsbuch Book 4: Mercenary komplett für militärische Kampagnen mit Söldnereinheiten ausgelegt ist (mitsamt einem abstrakten (Massen-)Kampfsystem und komplexem Ressourcenmanagement-Anteil). Eine Söldnerkampagne ist also auch wieder etwas ganz eigenes und anders, als z.B. eine Scout-Kampagne. Genauso ist es auch mit allen anderen Zusatzbüchern: Sie bieten immer neue Möglichkeiten ein Traveller-Spiel zu ergänzen, bzw. ganz eigene Kampagnen daraus zu machen, die bestimmte Themenbereiche der Spielwelt im Detail beleuchten und sich daher sehr voneinander unterscheiden können.
Zusätzlich zu dem bisher gesagten verfügt Traveller über ein starkes Worldbuilding-Element. Von Charakteren und NPCs, über Zufallsbegenungen und Raumschiffe, bis hin zu Welten und ganzen Weltraumsektoren lässt sich anhand der Regeln bei Traveller eigentlich ALLES individuell erstellen, bzw. erwürfeln. Dies macht nicht nur Spaß, sondern eignet sich auch gut als Inspirationshilfe für (Rollenspiel-)Autoren. Hier liegt auch der Schlüssel, Traveller letztlich zu etwas ganz eigenem zu machen: Man erschafft (alleine oder gemeinsam) einen Subsektor, kreiert ein paar Raumschiffe und Charaktere, legt ein paar grundsätzliche Fakten über die Spielwelt fest, einigt sich auf einen Spielstil und los geht die Reise in ein neues Univerversum voller Überraschungen!
Man sieht, Traveller ist eine Art Über-Spiel, welches man auf höchst unterschiedliche Arten und Weisen benutzen kann und welches für viele Geschmäcker etwas bietet. Deepes Rollenspiel ist genauso möglich, wie abstrakte taktische (Miniaturen-)Gefechte, Handelssimulationen, oder Glücksspiele.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen