Samstag, 16. September 2017

Classic Traveller: Erfahrung und Charakterentwicklung

Beim letzten Spieleabend entbrannte eine Diskussion über das im Vergleich zu anderen Systemen sehr merkwürdig erscheinende Erfahrungssystem von Traveller, denn die Spieler wunderten sich, warum sie nie so etwas wie Erfahrungspunkte, Steigerungsversuche für Attribute und Fertigkeiten, oder sonstige Möglichkeiten erhalten, ihre Werte auf dem Charakterbogen zu verbessern, oder zu vermehren. Traveller ist in Hinblick auf Charakterentwicklung tatsächlich anders als andere Rollenspiele. Nach der Charaktererschaffung braucht sich der Spieler tatsächlich fast garnicht mehr um seinen Charakterbogen und die Werte darauf zu kümmern, sondern kann ab dann vollständig In-Game bleiben. Wenn man es genau nimmt, passiert die Charaktererschaffung selbst schon In-Game! Der Charakter startet ganz unerfahren mit 18 Jahren und muss sich entscheiden, bzw. erwürfeln, wie seine Zukunft in einer der möglichen Charakterklassen, bzw. Berufen verläuft. Er erwirbt Fertigkeiten und andere Vorteile und scheidet irgendwann aus seiner offiziellen Laufbahn aus, um ein Traveller, also ein Abenteurer zwischen den Sternen zu werden. Alles weitere passiert dann auch im Spiel, im Verlauf der Geschichte.

Ein Charakter hat während seiner Dienstzeit bereits viel Erfahrung gesammelt und bringt ein paar Skills mit, in denen er sehr professionell ist. Nun ist er aber ein Abenteurer, der anderes zu tun hat, als reguläre Arbeit und spezialisiertes Training. Er hat keinen festen Job mehr und schlägt sich meist mit interstellarem Handel und Geldfragen und immer neuen Abenteuersituationen auseinander. Und er wird natürlich älter und baut womöglich körperlich daher schon wieder ab! (Die meisten Traveller-Charaktere haben ihre Jugend schon weit hinter sich gelassen und sind von jahrelangem Dienst gezeichnete und abgehalfterte Glücksritter.)  Es gibt zwar die Möglichkeit, Werte des Charakters zu verbessern, aber dies erfordert meist viel Zeit (Jahre!) und Geld (Teilnahme an Trainingsprogrammen und Kursen, Zuhilfenahme eines persönlichen Lehrers).

Dies schreckt viele Spieler ab, die von anderen Systemen gewohnt sind, ständig mit Erfahrungspunkten und Stufenaufstiegen belohnt zu werden. Das heißt aber nicht, dass sich die Charaktere nicht verbessern könnten und würden! Der Spielleiter ist durchaus dazu angehalten, den Spielern positive Modifikatoren auf Würfe zuzugestehen, wenn sie Dinge, die ihre Charaktere nicht so gut können dennoch schon mehrfach ausprobiert haben, oder Wissen über bestimmte Sachverhalte erlangen. Ein Fertigkeitslevel bei Traveller ist eine große Sache und bedeutet, dass der Charakter auf diesem Gebiet schon ziemlich erfahren ist und daher ist es nicht leicht eine Fertigkeit zu erhöhen, ohne gezieltes und ausgiebiges Training. Aber wie gesagt, möglich ist es schon. Bei Traveller spielt man eben auch keinen Fantasy-Helden, der aufgepowert und mit tausenden von Spezialfähigkeiten daherkommt, bzw. diese Entwicklung immer weiterführt, bis er eine Art Halbgott ist, sondern recht "normale", dafür aber mit viel Expertise ausgestattete Menschen, die durch die (sehr riskanten) Abenteuer, die sie erleben zu echten Helden werden können, eben weil es "nur" normale Typen, wie du und ich sind, die diese Gefahren auf sich nehmen.

Und dass die Entwicklung von Expertise (die Regeln von Classic Traveller erwähnen diesen BEgriff recht häufig, von Skill-Levels ist eher selten bis garnicht die Rede) eine Angelegenheit von Jahren ist, kann ich aus meinem eigenen Leben bestätigen. In meinem derzeitigen Job arbeite ich nun seit 7 Jahren, davor machte ich eine 3-jährige Ausbildung. Direkt nach der Ausbildung fühlte ich mich zwar schon etwas befähigt, aber war natürlich noch unerfahren, nicht so umsichtig usw... Erst jetzt habe ich das Gefühl, wirkliche Sicherheit und Professionalität in meiner Tätigkeit erlangt zu haben. Diese Zeitdauer deckt sich in ungefähr mit dem Konzept der Dienstperioden bei Traveller-Charakteren. Sagen wir die 3 Jahre Ausbildung, plus mein erstes Jahr in der Praxis war meine erste Dienstperiode. Sie gab mir einen "Skill-Level" von "1". Nun habe ich gerade das Ende der zweiten Dienstperiode erreicht, welches mir einen weiteren Level einbringt. Wäre ich ein Traveller-Charakter (schön wärs!) würde ich also auch vergleichsweise kompetent in meiner Berufsfertigkeit sein. Es dauert tatsächlich Jahre, bis sich eine Professionalität einstellt und von dem Gesichtspunkt aus betrachtet ist das Traveller-Charaktererschaffungs- und Erfahrungssystem garnicht mal so unrealistisch!

Der Autor von Traveller schreibt, dass es zudem noch viele weitere Wege gibt, auf denen sich die Charaktere verbessern und die finden im Spiel selbst statt (statt auf dem Charakterbogen). Da wären z.B. Geld und Einfluss, Wissen über die Spielwelt und deren Gesetze und die in ihr aktiven Machtgruppen, sowie zunehmende Verbindungen zu bestimmten dieser Gruppen, oder auch wichtigen Einzelpersonen im Universum. Auch technische Verbesserungen des Charakters wären denkbar (Cyberware), er kann zudem auch Psioniker werden (was einem sogar ein paar neue Skills einbringt und nicht so lange dauert, wie herkömmliches Training), oder seine Fähigkeiten durch Drogen aufputschen.

Und nicht zuletzt ist es nicht der Charakter, sondern vor allem der Spieler, der im Laufe der Kampagne an Erfahrung gewinnt. Er lernt seinen Charakter im Verlauf der ebenfalls immer komplexer und tiefer werdenden Geschichte besser kennen, und auch das Universum und seine Gesetze und Möglichkeiten wird der Spieler im Verlauf der Kampagne immer besser einschätzen können. Zudem ist es der Spaß am Spiel selbst, der die größte Belohnung darstellt. Eine unbekannte Welt zu erkunden, einen Raumkampf überlebt zu haben, einen riskanten Weltraumspaziergang erfolgreich zu bestehen, oder einfach die Zeit im Sprungraum mitsamt der Interaktion zwischen den Charakteren (auch deren Beziehungen untereinander entwickeln sich ja weiter) detailliert auszuspielen... Das alles sind für sich schon interessante Begebenheiten und ich finde gute Geschichten und einzigartige, oder lustige Anekdoten aus erlebten Abenteuern sind immer die beste Belohnung für eine Rollenspielgruppe.

Noch mehr wahre Worte zu dem Thema Erfahrung bei Traveller findet ihr auf dem Ancient Faith in the Far Future-Blog:

http://ancientfarfuture.blogspot.de/2014/04/why-are-there-no-experience-points-in.html

Ciao!

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