Wie neulich schon am Rande erwähnt, habe ich mir das neue alternative Regelwerk Shadowrun Anarchy zugelegt und hiermit liefere ich mal eine kurze Besprechung dieses neuen Spielansatzes nach.
Ich habe eine Menge Rezensionen zu Shadowrun Anarchy gelesen und die meisten sind geteilter Meinung über das System. Ich persönlich mag ja regelärmere Rollenspiele und ärgere mich bei Shadowrun häufig über die langwierigen und komplizierten Prozeduren, die das Spiel oft sehr bremsen können. Daher gefällt mir Shadowrun Anarchy mit seinem minimalistischen Ansatz allein schon sehr gut. Die grundliegenden Mechanismen sind dem Standardspiel sehr ähnlich (W6-Würfelpools aus Attribut und Fertigkeit werfen), aber es gibt insgesamt weniger Attribute und Fertigkeiten. Alles wurde sehr gestreamlined und unnötiger Regelballast wurde einfach weggelassen. Dennoch bleibt meiner Meinung nach das Shadowrun-Feeling erhalten. Klasse finde ich den Ansatz mit den Schattenboostern. Dies sind spezielle Kräfte, Cyberware, Programme, Zauber, etc.., die den Charakter besser machen. Diese können aus dem im Buch enthaltenen Katalog, oder anderen Shadowrun-Büchern übernommen, bzw. auch selbst entworfen werden. So lässt sich die große Bandbreite an Kräften, Spezialausrüstung und Zaubern ganz einfach ins Spiel integrieren, ohne dass massenweise Bücher dafür gewälzt werden müssen. Die verschiedenen Untersysteme, wie Kampf, Matrix, Rigging, oder Magie werden auf jeweils ein bis zwei Seiten des Regelbuchs abgehandelt und funktionieren alle schnell und unkomliziert und auch sonst wurden alle relevanten Aspekte eines Shadowrun-Spieles in vereinfachter Form im Buch untergebracht.
Was das Spiel von einem klassischen Rollenspiel abhebt und die wirkliche Neuheit im Spiel darstellt, ist der erzählorientierte Ansatz. Das Spiel läuft von Anfang an in Runden ab und jeder Spieler erzählt nacheinander, was sein Charakter tut und darf sogar neue Plotelemente und Umgebungsbeschreibungen in seine Erzählung mit einweben. Dies macht das Spiel sehr flexibel und unvorhersehbar und der Spielleiter ist dafür zuständig, zu moderieren und die Geschichte am laufen, bzw. in der Bahn zu halten. Plotpunkte dürfen z.B. dafür ausgegeben werden, die Erzählreihenfolge zu unterbrechen, oder neue Plotelemente einzubringen, obwohl man nicht an der Reihe ist. Allerdings muss sich nicht absolut an diese Erzählstruktur gehalten werden. Z.b. werden Gespräche im Spiel ganz normal als Dialoge abgehandelt und die Erzählrunde in diesem Moment ausgesetzt. Auch dürfen Mitspieler gerne Einwürfe und Kommentare machen, auch wenn sie nicht an der Reihe sind. Ich halte diese rundenbasierte Erzählstruktur für sehr sinnvoll. Auch in unseren normalen Shadowrun-Runden spielen wir oft so, dass wir am Anfang einer Szene (und nicht nur im Kampf) die Initiative auswürfeln und dann alle nach der Reihe mit dem Erzählen dran sind, um ein zu großes Durcheinander am Tisch zu vermeiden.
Für Runden, denen eine klassischere Vorgehensweise, bei der der Spielleiter mehr Autorität hat, besser gefällt, hält das Regelbuch auch eine Spielvariante hierfür bereit. Letztenendes kann man Shadowrun Anarchy so spielen, wie es für die Gruppe angemessen ist. Wer will, kann das ganze Erzählspiel-Gedönz weglassen und hat dann einfach ein schönes Regelwerk für Shadowrun-Light an der Hand, oder man geht in die andere Richtung und spielt es eben wie beschrieben als Erzählspiel. Wenn man mehr in die Erzählspiel-Richtung tendiert, könnte man sogar so weit gehen, den Spielleiter ganz wegzulassen und die Spieler beschreiben einfach gemeinsam die ganze Geschichte. Ich denke aber, die Standard-Shadowrun Anarchy-Regeln bieten eine gute Balance der beiden Ansätze.
Ich bin von Shadowrun Anarchy sehr begeistert und freue mich darüber, endlich ein alternatives Regelwerk zu haben, welches einen ohne große Komplikationen und ohne stundenlange Charaktererstellung in die sechste Welt abtauchen lässt. Ich finde das neue Spielprinzip total gut und glaube, dass es super zu unserer Spielrunde passen würde, denn teilweise tendieren wir zu genau den Ansätzen, die bei Anarchy angewendet werden und es werden in den Regeln genau die Dinge weggelassen, die wir im normalen Shadowrun-Spiel oft als lästig, bremsend und nervig empfinden. Aber es geht meiner Meinung nach nicht wirkich etwas verloren, denn die Regeln bieten immernoch genug Crunch und Möglichkeiten, um auch als Shadowrun durchzugehen und wie gesagt lassen sich so ziemlich alle inhaltlichen Aspekte der Spielwelt auch mit Shadowrun Anarchy umsetzen.
Als ich Spielern meiner Runde von Shadowrun Anarchy erzählte, war die Reaktion leider von vorneherein eher ablehnend. Es bestand kein Interesse, das Spiel auch nur testweise auszuprobieren, was ich mehr als schade finde. Ich kann zwar verstehen, dass es durch das Streamlining und weglassen vieler Regelaspekte erstmal so aussieht, als wenn den Spielern, bzw. den Charakteren im Vergleich mit den Standtard-Regeln von SR 5 etwas verloren gehen würde, aber ich glaube dass Shadowrun Anarchy dennoch ein wirklich interessantes und vor allem flüssiges Spielerlebnis bieten kann und bestimmt viel Spaß macht. Die Vereinfachung der Regeln wird meiner Meinung nach durch das verstärkte Erzählelement und die große Macht der Spieler, in die Geschichte einzugreifen, wieder ausgeglichen. Da Shadowrun Anarchy auf den Regelmechanismen von SR 5 basiert, aber einen anderen Schwerpunkt legt, kann man Anarchy auch einfach als anderen Spielmodus betrachten, mit dem man die Shadowrun-Welt erlebt.. Während es im normalen SR 5 eher simulationistisch zugeht, Ressourcenmanagement wichtig ist und viel Gewicht auf Detailregeln liegt, steht bei Anarchy eben eine cineastisch erzählte Geschichte im Vordergrund.
Also, liebe Mitspieler: Ich würde euch bitten, zumindest mal versuchsweise zwischendurch mit mir Shadowrun Anarchy zu spielen, und wenn es nur einmal sein sollte. Ich denke, dass es euch trotz der Bedenken gefallen wird. Ansonsten bin ich gezwungen, eine neue, zusätzliche Spielrunde ins Leben zu rufen, die sich dann ausgiebig Shadowrun Anarchy widmet.
Heute Abend geht es erstmal mit dem normalen Regelwerk und unserer Seattle-Kampagne weiter... Spaßeshalber werde ich eure Charaktere trotzdem schon mal nach Shadowrun Anarchy konvertieren, damit man dann demnächst vielleicht ja doch mal das Regelwerk wechseln kann.
Bis nachher!
Der Spielleiter
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