Prince Valiant: The Storytelling Game
Prince Valiant ist ein Erzählspiel in der Welt des Prinz Eisenherz (nach den Comics von Hal Foster), bzw. der Artussage. Es funktioniert grundliegend wie ein klassisches Rollenspiel, öffnet die Spielleitung aber im erweiterten Regelteil ein ganzes Stück weit für alle Mitspielenden. Meines Wissens nutzen die Regeln die rollenspielhistorisch erste Poolmechanik, allerdings wird bei Prince Valiant nicht gewürfelt, sondern es werden lustigerweise Münzen gegen einen Mindestwurfwert (z.B. 3 für eine schwierige Aktion) geworfen. Alle geworfenen Kopfseiten zählen dabei als Erfolge und wird der Mindestwurf erreicht, war die Aktion erfolgreich. Bei Wettstreiten und Kämpfen werfen beide Seiten ihre Münzen und die Seite mit mehr Erfolgen gewinnt den Konflikt. Im erweiterten Kampf subtrahiert die unterlegene Figur dann die Differenz der Wurfergebnisse von ihrem Münzpool. Dieser Pool wird meistens aus der Summe eines der zwei Attribute "Brawn" (Körperbeherrschung) und "Presence" (Geist und Ausstrahlung), sowie des Wertes einer passenden Fertigkeit, zuzüglich eventueller Boni/Mali durch Umstände und Ausrüstung, gebildet. Die Attribute und Fertigkeiten haben Werte zwischen 1 und 6. Bei der Charaktererschaffung werden 7 Punkte auf Brawn und Presence und 9 Punkte auf 6 Fertigkeiten verteilt. Dann bekommt die Spielfigur noch eine Startausrüstung und schon kann es losgehen!
In den Grundregeln geht Prince Valiant davon aus, dass jede/r eine/n RitterIn verkörpert, in den erweiterten Regeln kommen noch zahlreiche andere Charakterklassen, wie Mönche, HändlerInnen, SöldnerInnen, WikingerInnen, oder auch DiebInnen hinzu.
Ein wichtiger Teil der Regeln ist "Fame". Dieser Wert steht für die Erfahrung und Berühmtheit der Spielfiguren und reicht von 500 Punkten für einfaches Volk, über 800 Punkte für frisch gebackene Ritter, bis hin zu zigtausenden Punkten für berühmte Persönlichkeiten. Fame erhält man im Laufe der Abenteuer für erfolgreiche und heldenhafte Aktionen. Immer, wenn eine Spielfigur 1000 Famepunkte erreicht hat, darf eine Fertigkeit um einen Punkt erhöht, oder eine neue Fertigkeit auf dem Wert 1 gelernt werden. Fame hat aber auch andere In-Game-Effekte. Zum Beispiel sollten sich NSC zu den anderen Charakteren deren Fame entsprechend verhalten. Seine volle Wirkung kann der Famewert allerdings nur entfalten, wenn die SC auch fleißig von ihren, möglichst auch bezeugten, Heldentaten erzählen, wenn sie durch die Tavernen Britanniens ziehen.
In den Regeln für Fortgeschrittene wird das Spiel um einen kooperativen Erzählmodus erweitert, bei dem jede/r Spielende die Möglichkeit hat, kurze Szenen, oder auch ganze Episoden mit zu beschreiben und in Absprache mit dem/der Hauptspielleitenden selbst temporär die Spielleitung zu übernehmen. So können alle ihre Ideen einbringen und gemeinsam eine interessante Geschichte entwickeln.
Ein weiteres cooles Feature sind die Character-Traits, von denen jede Spielfigur ein bis drei Stück besitzt und von denen die MitspielerInnen auch nichts wissen. Traits sind Persönlichkeitsmerkmale, von denen 61 im Buch beschrieben werden und die in unterschiedlichem Maße zusätzliche Famepunkte einbringen können, wenn sie während der Spielrunde auf passende Weise ausgespielt werden. So erhalten die Spielfiguren völlig eigene Handlungsmotivationen (oder auch Obsessionen), die über das reine absolvieren des Abenteuers hinausgehen. Das könnte in der Praxis ziemlich witzig werden...
Und Prince Valiant hat noch mehr coole Regelaspekte! Es gibt im Buch neben den Grund- und Erweiterungsregeln auch noch jede Menge weitere Storytelling-Tips und Optionalregeln. Zum Beispiel gibt es "Gold Star Awards": SpielerInnen können von der Spielleitung für besonders heldenhafte, gut gerollenspielte, oder dramatische Aktionen mit goldenen Klebesternchen belohnt werden. Klebt ein Sternchen auf dem Charakterbogen, erhält man für den Rest der Session bei Münzwürfen eine zusätzliche Münze. Ein weiteres Regelelement bilden die sogenannten "Special Effects": Ein/e SpielerIn kann wegen herausragender Taten ein "Storyteller Certificate" von der Spielleitung erhalten, das mehrere Sonderaktionen aufführt, von denen sich die Person eine aussuchen und einmal pro Session sozusagen als Joker einsetzen kann, um so die Geschichte im Sinne der Charaktere zu beeinflussen. Man kann z.B. eine/n Gegnerin einfach ausser Gefecht setzen, einer gefährlichen Situation entkommen, oder die Gefühle einer (Nicht-)Spielerfigur beeinflussen. Cool!
Das arthurianische Setting von Prince Valiant ist allgemein bekannt und kann so "realistisch" oder märchenhaft gestaltet werden, wie es für die Spielgruppe passt. Als Quellenmaterial für das Spiel können natürlich die vielen Comics von Hal Foster, sowie jegliche Literatur über Artus und die Ritter der Tafelrunde genutzt werden. Im Buch werden zahlreiche Bücher und Filme als Inspirationsquellen angegeben, sogar "Life of Brian" wird mit aufgeführt.
Die Artuslegenden bilden zwar das eigentliche Setting des Spiels, aber dennoch sind die Regeln abstrakt und flexibel genug, um auch für völlig andere historische, oder fantastische, Hintergründe verwendet zu werden, solange die Spielfiguren "normale" Menschen sind (Es gibt keine MagierInnen-Charaktere oder Magieregeln bei Prince Valiant).
Der Spieleentwickler Greg Stafford war ein großer Fan und Kenner der Artus-Geschichten und der Prince Valiant-Comics. Er ist vor allem als Autor des detaillierten klassischen König Artus-Rollenspiels "Pendragon" bekannt und erwähnt in den Prince Valiant-Regeln auch, dass man als erfahrene/r SpielerIn darauf zurückgreifen kann, wenn man komplexere Regeln, oder ausführlichere Daten zu Ausrüstung, Geld, Reisezeiten und anderen Themen haben möchte. Prince Valiant sieht sich als leichtfüßiges Erzählspiel und nicht als Mittelalter-Simulation, weshalb es solchen Regelballast nicht braucht und es soll eher Rollenspielneulinge, Kinder und Casual-SpielerInnen ansprechen. Tatsächlich wird es auf dem Rückendeckel im Infotext als "Familienspiel ab 12 Jahre" bezeichnet und kann mit nur sehr wenig Vorbereitung direkt losgespielt werden. Hilfreich sind dabei die vielen kurzen Episoden, die am Ende des Buches zu finden sind und kurze Szenarien beschreiben, in die man die Spielgruppe werfen kann. Ein etwas ausführlicheres Abenteuer wird im Buch auch übersichtlich beschrieben und Stafford gibt der (Haupt-)Spielleitung noch einige Ratschläge zum Erstellen eigener Abenteuer an die Hand. Auch im Buch enthalten ist eine knappe Beschreibung der Welt von Prinz Eisenherz im 5. Jahrhundert und ein Abriss über die wichtigsten Persönlichkeiten, inklusive ihrer Spielwerte.
Alles in allem bietet Prince Valiant ein sehr einfaches, geniales Regelsystem, welches gut für EinsteigerInnen geeignet ist und mit dem dennoch vielfältige Situationen simuliert werden können. Es erinnert schon ziemlich an regelarme Indie-Systeme aus den 2000er Jahren und könnte auch eine starke Inspiration für das Storyteller-System der World of Darkness gewesen sein, welches ja mit Vampire: The Masquerade nur ein paar Jahre nach dem Erscheinen von Prince Valiant sein Debut feierte und ebenfalls ein Poolsystem hatte, genau wie auch Shadowrun, das auch ungefähr zur gleichen Zeit erschien. In diesem Sinne war Prince Valiant wohl wirklich wegweisend. Die inhaltliche Strukturierung und das Design von Prince Valiant, mit den tollen Illustrationen von Hal Foster aus den Originalcomics, sind ebenfalls erste Klasse!
Das Spiel ist allerdings nur sehr schwer in physischer Form zu finden, und wenn, dann dür teils horrende Preise! Es gab wohl 2018 mal eine 2nd Edition, aber auch die ist längst vergriffen. Also haltet die Augen auf, vielleicht könnt ihr ja einen Glücksgriff landen! Ansonsten findet ihr ja vielleicht in den Tiefen des Internets eine gescannte PDF-Version. Aber auch das ist garnicht so einfach (und ob das legal ist, weiß ich auch nicht...)! Viel Erfolg!
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