Freitag, 21. Juli 2017

Classic Traveller: Unendliche Weiten



Ich lese seit ein paar Tagen die wirklich tollen und hochinteressanten Artikel auf dem Blog Tales to Astound! (https://talestoastound.wordpress.com/tag/traveller/), die viele wertvolle Informationen über die Bedeutung und Spielweise der ursprünglichen Edition des Traveller-Spieles beinhalten. Wer sich für die Geschichte des Rollenspiel-Hobbies interessiert, mit speziellem Fokus auf Traveller, sollte da auch mal reinlesen. In Bezug auf das Spielsystem kann ich viele der Schlüsse teilen, die der Blogautor in seinen Artikeln zieht.

Was ich an Traveller  klasse finde, ist die Vollständigkeit und gleichzeitige totale Offenheit des Systems, vor allem der Grundregeln, was sicher ersteinmal seltsam klingt, denn wenn man sich die 3 Büchlein mal anschaut, sind die Regeln auf den ersten Blick mehr als nur knapp dargestellt. Und ein Setting findet sich überhaupt nicht. Aber schauen wir uns das Ganze mal genauer an:

Das klassische Traveller-Regelwerk, bestehend aus den drei kleinen Büchern Characters and Combat, Starships und Worlds and Adventures ist eines der ältesten Rollenspiele und führte mit als erstes Konzepte wie Skills und Generierungsregeln für Raumschiffe, Sektoren, Welten, Aliens, Tiere, Roboter usw. ein. All dies befindet sich bereits in den Grundregeln. Dies macht das System zu einem ultimativen Werkzeug für Spielleiter, die ihr eigenes Universum kreieren wollen. Aber nicht nur das: In den ursprünglichen Regeln finden sich einige kryptische Anmerkungen über die Arten und Weisen, wie man Traveller spielen kann. Neben der üblichen Konstellation von Spielern und Spielleiter, wird auch erwähnt, dass das Spiel auch gänzlich ohne Spielleiter, oder sogar auch allein spielbar ist. Hierzu ein paar Zitate:

“Traveller may be played in any of three basic configurations: solitaire, scenario, or campaign. Any configuration may be unsupervised (that is, played without a referee; the players themselves administer the rules and manipulate the situation).” (Book 1: Characters and Combat)

"The solitaire game: One player undertakes some journey or adventure alone. He handles the effects of the rules himself. Solitaire is ideal for the player who is alone due to situation or geography." (Book 1: Characters and Combat)

"In addition, there are many aspects ideally suited to solitaire consideration. A single player can spend the time generating characters, designing starships, generating worlds and subsectors, planning situations, and mapping out ideas to use in later group adventures." (Book 1: Characters and Combat)

Tatsächlich ist dies machbar! Durch Untersysteme, wie die Charaktererschaffungsregeln (ein kleines Spiel im Spiel) und die erwähnten Generierungsmechaniken kann ein beherzter Spielleiter allein ganze Universen basteln, was an sich schon sehr viel Spaß macht. Und die vielen anderen Tabellen, z.B. für Zufallsbegegnungen und Reaktionen von Nichtspielercharakteren, sorgen daür, dass die Zeit im Spiel mit Leben gefüllt wird. Die/der Spieler haben bei Traveller eine sehr großé Handlungsfreiheit, die nur durch den aktuellen Kontostand der Charaktere eingeschränkt wird. Sie können selbst entscheiden, was sie mit ihrem Abenteurerleben anfangen möchten, zu welchen Welten sie reisen, ob sie Handel treiben, Piraten werden, oder z.B. als Söldner agieren. Spielt man allein, oder als Gruppe ohne Spielleiter, erschafft man das Spieluniversum zusammen und regelt Ereignisse im Spiel in der gemeinsamen Diskussion. Die Rolle des Spielleiters kann von Situation zu Situation an die Mitspieler abegegeben werden. Zum Beispiel können im Kampf die Gegner einfach von einem, oder mehreren Mitspielern gesteuert werden. Wenn mann allein spielt, dann übernimmt man natürlich auch alle Figuren und kann sich selbst zusammenreimen, was deren Ziele und Beweggründe sind. Die Nichtspieler-Reaktions-Tabelle und ein wenig Fantasie reichen aus.
Auch die einfachen Handels-Regeln in Book 2: Starships sind ein kleines Spiel im Spiel. Es ist durchaus möglich just for fun einfach mit diesem System herumzuspielen und zu schauen, wieviel Profit man erwirtschaftet.
Generell hat Traveller auch etwas von einer Wirtschafts- und Raumschiffs-Simulation und verfügt über einen starken Ressourcen-Management-Anteil. Dies führt dazu, dass zwischen den "normalen" Rollenspiel-Phasen zeitweise eine abstraktere, übergreifende Perspektive von den Spielern eingenommen wird, zum Beispiel, wenn mit Würfelwürfen bestimmt wird, was den Charakteren wann auf einer Welt passiert, sie Handel treiben, oder ihre Einnahmen und Ausgaben berechnen. Dieses Element tritt im spielleiterlosem Spiel mehr in den Vordergrund, da die Spieler nun ausschließlich selbst dafür verantwortlich sind, über solche Dinge zu wachen und buchzuführen.

Schön finde ich auch das Nachwort in den Grundregeln von Classic Traveller (aus dem Buch Worlds and Adventures):

"Traveller is necessarily a framework describing the barest of essentials for an infinite universe; obviously rules which could cover every aspect of every possible action would be far larger than these three booklets. A group involved in playing a scenario or campaign can make their adventures more elaborate, more detailed, more interesting, with the input of a great deal of imagination."

und:

"One very interesting source of assistence for this task is the existing science-fiction literature. Virtually anything mentioned in a story or article can be transferred to the Traveller environment. Orbital cities, nuclear war, alien societies, puzzles, enigmas, absolutely anything can occur, with imagination being the only limit."

Diese Worte machen klar, dass die knappen Grundregeln in den 3 Büchlein ein wirklich komplettes Spielsystem darstellen, welches mit Modifikationen durch Spieler und Spielleiter für alle erdenklichen Sci-Fi-Settings (und nicht nur Sci-Fi, auch historische Hintergründe sind durchaus denkbar) eingesetzt werden kann. Und die Spielregeln verstehen sich selbst mehr als Vorschläge, nicht als Gesetze und erlauben eine große Kreativität im Umgang mit ihnen. Das gleiche könnte man übrigens auch über die allerersten Regeln für Dungeons & Dragons sagen, die auch in drei kleinen Büchlein erschienen (Traveller hat sich davon inspirieren lassen). Auch sie stellten eine Art Sandkasten dar, in dem sich der Spielleiter nach belieben austoben konnte, um seinen Spielern sein eigenes Setting präsentieren zu können, oder mythologische Hintergründe und Welten aus Fantasy-Romanen zu simulieren. Diese ersten Rollenspiel-Sets kamen als vollständige Systeme daher, die nach belieben von Spielern weiterentwickelt und auch verändert werden konnten und sollten! Sowohl für D&D, als auch für Traveller kamen später massenweise Erweiterunsbücher heraus, mit mehr Regeln, eigenen Settings, mehr Waffen usw... Diese waren meist auch brauchbar und erweiterten die Systeme auf interessante Weise, aber waren dennoch keineswegs notwendig. Im Falle von Traveller sind alle Erweiterungen, genau wie die Grundregeln, oder auch das offizielle Setting als Vorschläge und Inspirationshilfen gedacht, um dem Spielleiter, oder den Spielern das Leben leichter zu machen.

All dies zeigt, wie unglaublich vielseitig Traveller gespielt werden kann. Das System ermöglicht eine sowohl klassische, als auch experimentelle und sehr offene Herangehensweise an das Rollenspiel, die den Rahmen "normaler" Rollenspielrunden, wie wir sie heute kennen, überwinden oder durchbrechen kann, um einem dynamischen Prozess Platz zu machen, in dem die Spielgruppe tatsächlich etwas einzigartiges erschafft (ob nun mit oder ohne Spielleiter).





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