Montag, 13. April 2020

Traveller5 - Eine wohlwollende Besprechung

Dass ich Classic Traveller (CT) mag dürfte ja jedem/jeder Leser/in meines Blogs inzwischen bekannt sein. Traveller, vor allem in der klassischen Originalversion, hatte schon immer etwas ziemlich Lehrbuchhaftes an sich. Die knappen Texte in den ersten drei Regelheften, in denen man anhand von Wurzelaufgaben interstellare Reisezeiten oder Vektoren sich bewegender Raumschiffe berechnen muss, oder die seitenlangen mit astronomischen Begrifflichkeiten gespickten Tabellen aus Book 6 - Scout, haben Traveller, warscheinlich mehr noch als Dungeons&Dragons, den Ruf eines außerordentlichen Streber-Spieles für richtige Voll-Nerds eingebracht. Und warscheinlich stimmt diese Einschätzung auch, was ich aber soweit positiv bewerte. Traveller hat man immer seine simulationistischen Wargame-Spieler-Wurzeln angemerkt und es war stark von der Sci-Fi-Litaratur der 30er bis 60er Jahre beeinflusst, deren Klassiker in den meisten Fällen bis heute nie verfilmt wurden. Mit dem allseits bekannten Mainstream von z.B. Star Trek oder Star Wars hatte Traveller nicht viel zu tun. Mit späteren Editionen wurde immer mal versucht, durch ein anderes Design ein breiteres Publikum anzusprechen, aber die Streberhaftigkeit des Spieles blieb im Grunde jederzeit erhalten. Und trotz aller grauen Mathematik war das Spiel nie langweilig, wie ich finde!

 Es geht bei Traveller darum, einen Baukasten and er Hand zu haben, mit dem man ein eigenes Sci-Fi-Setting kreieren, oder beliebige Szenen aus der Sci-Fi-Literatur nachspielen kann.Es existiert auch ein eigenes Setting für Traveller, das Third Imperium, welches dem Spielleiter viel Raum lässt, es nach seinen Vorstellungen zu ergänzen, zu verändern, oder umzuinterpretieren. In-Game-Systeme gibt es dafür in den verschiedenen Editionen zuhauf. Traveller ist deshalb für mich tatsächlich eine Art Meta-Spiel. Es ist ein Werkzeug zur Erschaffung und Simulation von Welten und allem, was auf und zwischen diesen geschieht.

Und genau das macht auch Traveller5 (T5) von Far Future Enterprises wie erwartet nicht anders. In Sachen Streber- und Lehrbuchhaftigkeitkeit übertrifft T5 alle seine Vorgänger um Längen. Das viel mir bereits auf, als ich in einem Spielegeschäft vor Jahren zum ersten Mal das äußerst dicke T5-Corebook von 2013 entdeckte, ich aber des Preises und der schieren Masse scheinbar komplizierter Texte und Tabellen wegen das Buch nicht kaufte. Ich spielte erst seit kurzer Zeit Mongoose Traveller, was  auf Deutsch vom 13-Mann-Verlag vertrieben wurde und eine vergleichsweise gut zu verstehende alternative Version von CT darstellte. Ich fing gerade erst an zu entdecken, wieviele Versionen von Traveller es eigentlich gibt (es sind wohl insgesamt zehn) und was sie an Massen von Spielmaterial mit sich bringen, welches zum großen Teil immernoch nutzbar ist, egal welche Ausgabe des Spieles man benutzt. Und zu dieser Masse gesellt sich nun T5.

Ich beschäftigte mich immer mehr mit verschiedenen Editionen, vor allem CT. Und so bereute ich ein bisschen meine Entscheidung, T5 nicht gekauft zu haben. Ein riesiges, sozusagen "komplettes" Traveller-Buch, in dem die fortgeschrittene Regeln und Erweiterungen, sowie gute Ideen aus unterschiedlichen Editionen zu einem harmonischen Ganzen verwoben und endlich ausführlichere Erläuterungen vieler Grundkonzepte des Spiels, sowie ein universelles Task-System vorgestellt werden, fand ich eine gute Idee. Es war allerdings wohl kein Fehler, dass ich das Buch damals nicht gekauft habe, denn ich las später sehr viele negative Rezensionen darüber. Das Buch basierte auf dieser großartigen Idee, aber soll in der Ausführung eine riesige, fast unlesbare Katastrophe gewesen sein und dazu fehlte auch noch der Index! Zudem waren einige Regelkonzepte wohl noch nicht ganz durchdacht, weswegen Marc Miller, der Autor und Erfinder von Traveller,  dann im Laufe der Jahre glücklicherweise noch zwei veränderte und erweiterte Fassungen entwickelt hat: T5.09, die soweit ich weiß nur als PDF erschien und das jetzt neue T5.10, welches die endgültige, weitgehend von Bugs befreite, besser strukturierte Fassung ist und seit Neuestem in einem schicken Set mit drei dicken Bänden im Schuber daherkommt. Und ich hab sie tatsächlich im gleichen Spieleladen entdeckt! Diesmal habe ich zugeschlagen.


Die Titel der drei Wälzer sind die gleichen, wie die der originalen drei Little Black Books von CT. Auch von Design und Textstruktur her ist das Werk klar an ältere Traveller-Editionen angelehnt. Wer die Bücher öffnet, wird auf den ersten und wohl auch zweiten Blick warscheinlich erstmal überfordert sein, der Inhalt ist gelinde gesagt etwas kryptisch. Nach einer kurzen Einführung ins Traveller-Universum und den Grundprinzipien des Spiels geht es sofort ans Eingemachte: Unglaublich viele Tabellen, Schautafeln, Symbole, Formeln und sehr, sehr viel Fließtext, der hin- und wieder von ein paar okayen schwarzweiß-Illustrationen aufgelockert wird.

 Autor Marc Miller versucht anscheinend tatsächlich, das Universum (also sozusagen alle erdenklichen Sci-Fi-Konzepte und Möglichkeiten), wie schon bei CT, nur sehr viel vollständiger, in ein paar universelle Systeme zu packen mit denen es dann in seinen Erscheinungformen für den Spielleiter auf dem Papier erstellbar und schließlich am Tisch spielbar werden kann. Ob Miller damit nun bei T5 in jedem Fall erfolgreich ist, ist ein anderes Thema. Ich glaube aber man kann Marc Miller mit Recht als den Hegel der Rollenspiel-Autoren bezeichnen.

T5 ist der große Hort der unimäßig aufbereiteten, quasi-wissenschaftlichen Space-Gaming-Weisheiten, Quelle des gesammelten Wissens über die Erschaffung einer Galaxis und ihrer Lebewesen bis hinein in die Genetik, mitsamt all ihrer Technik, egal wie primitiv oder fortgeschritten sie sein mag. Die Weltformel als Rollenspiel! Zumindest will es das anscheinend sein. T5 ist selbst für (moderne) Rollenspiel-Verhältnisse ein ziemlich verwegenes, abgefahren skurilles Projekt. In seiner Aufmachung und inaltlich ist es so trocken und simulationistisch, dass es glatt wirklich als Lehrbuch in einer Universität durchgehen könnte. Rollenspielneulinge würden es kaum verstehen. Gäbe es allerdings keine anderen Rollenspiele und T5 wäre das erste Produkt in dieser Nische, würde sich vermutlich ein esoterischer Kult um diese drei Bücher bilden. Es wäre das neue Ein Kurs in Wundern! T5 strahlt sowohl in seinem klotzigen, aber schlichten schwarzen Aüßeren, als auch in seinem Inhalt irgendwie eine autoritäre Endgültikeit aus und wird wohl auch nicht umsonst von Marc Miller selbst (neben CT) als "ultimative" Traveller-Edition bezeichnet. Sie ist für Marc Miller das, was für Gary Gygax (den Miterfinder von Dungeons & Dragons) die drei Grundregelbücher von Advanced Dungeons & Dragons, für Tolkien der Herr der Ringe und für Karl Marx Das Kapital waren: Sie ist Marc Millers Opus Magnum.

Das T5.09-Regelwerk wurde komplett überarbeitet, neu strukturiert und in eine klassische 3-Buch-Form gebracht, diesmal glücklicherweise mit einem Index und vielen, vielen Beispielen zu allen erdenklichen Regeln versehen. Dennoch hat man es teilweise schwer sich zurecht zu finden. Die insgesamt 888 Seiten sind wirklich randvoll gepackt mit Informationen rund um das Erschaffen von menschlichen und nichtmenschlichen Charakteren, Raumschiffen, Gegenständen, Fahrzeugen, Waffen, Welten und Tieren. Alle allgemeinen Grundannahmen von Traveller werden ausführlich erklärt. Wo CT bestimmte Sachverhalte in ein bis zwei Sätzen beschreibt, werden dieselben Dinge in T5 seitenlang detailliert dargestellt, was ich in vielen Fällen als Bereicherung empfinde, für Traveller-Neulinge aber vielleicht dröge ist. Die vielen Maker-Konzepte, zur Erstellung der eben genannten Spielelemente sind meiner Meinung nach sehr brauchbar. Und im Gegensatz zu vielen Rollenspielern, die T5 vorschnell den Stempel "unspielbar" aufgedrückt haben, glaube ich, bzw. möchte ich glauben, dass man das Ganze trotz seines gewaltigen Umfangs durchaus am Tisch zocken kann.

Irgendwie muss dies doch möglich sein...

Es ist natürlich unumgänglich, die wichtigsten Abkürzungen (und Abkürzungen gibt es viele bei T5) zu lernen, zu wissen, wo man ungefähr was in den Büchern findet (dafür sind sie auf den ersten Seiten mit nützlichen Tabellenverzeichnissen versehen) und sich mit den Würfelmechanismen auseinanderzusetzen. Sobald man versteht, wie Charaktere erschaffen werden, wie das Tasksystem funktioniert und wie das Spiel mit Entfernungen umgeht, ist man eigentlich bereit zum Spielen. Alles weitere hängt vom Spielstil und den Vorlieben der Spieler/innengruppe ab. Und die paar Konzepte, die ich gerade aufgezählt habe, finden sich alle im ersten Buch Characters and Combat, dessen Studium vorerst am wichtigsten ist. Dabei muss man das Werk auch nicht von vorn bis hinten lesen, sondern es als Nachschlagewerk sehen, aus dem man sich nach Bedarf bedienen kann. T5 ist von seiner Art her ein Oldschool-Spiel, es ist Classic Traveller in supermanier, ein Deluxe-Set sozusagen. Oldschool Rollenspiele bestanden oft nur aus obskuren Tabellen und Texten zur Erklärung dieser Tabellen. Aus dieser Tradition kommt auch Traveller und genauso funktioniert auch die neueste Edition. Man sucht sich die benötigten Tabellen für die Erschaffung von Irgendetwas heraus und wenn sie nicht selbsterklärend sind, liest man sich den passenden Textabschnitt durch. Alle anderen Regeln, außer ein paar Grundbedingungen von z.B. Würfelwürfen, sind in diesem Moment nicht wichtig. Zudem kann man sich gut von CT leiten lassen. Man kann vieles bei T5 sehr komplex gestalten, aber auch genauso rudimentär, wie bei CT.  Oder man legt als Spielleiter einfach bestimmte Dinge fest, bzw. regelt unwichtigere Details spontan.. Ein wichtiger Grundsatz in den drei dicken Büchern, der in vielen Kapiteln immer wieder auftaucht, lautet "OARN" (Only As Really Nessecary) und besagt genau dies: Man sollte immer nur dort die Detailregeln anwenden, wo es wirklich nötig ist (z.B. bei Streitfragen, oder zur Darstellung von für die Charaktere wirklich wichtigen Begebenheiten). Alles andere kann man vorerst weglassen. Solange, bis es mal jemand genau wissen will... und dann liefert T5 zu 99,5 Prozent dann auch eine Antwort.

Wie die wichtigsten Spielmechanismen genau funktionieren werde ich in zukünftigen Blogartikeln näher erläutern, ich möchte hier nur mal meinen ersten, nun nach einigen Tagen als Besitzer des schwarzen Schubers, und  nach intensivem Studium seines Inhalts, nicht mehr ganz frischen Eindruck mitteilen. Und der ist wie ihr lest, durchaus positiv. Ich kann mir sogar tatsächlich vorstellen dieses Spiel mal zu leiten! Wie schon teils erwähnt, halte ich es für möglich T5 problemlos mit den Regeln für Tasks,der Charaktererschaffung, den wichtigsten Kampfregeln und ein paar anderen  kleinen Informationen hier und da aus den beiden anderen Büchern flüssig spielen zu können. Es sind genügend Beispiele für jede Art von Erschaffungs-Regel angegeben (Sehr viele Waffen, die bekannten CT-Raumschiffe, Equipment usw...). Und alles andere legt man als Spielleiter einfach fest, wie man es in einem anderen Spiel auch tun würde: Mit gesundem Menschenverstand und den Mechanismen des Spiels, dort wo es Sinn macht und so detailliert, wie man möchte. Genügend Material bieten die drei Big Black Books auf jeden Fall, im Grunde genommen spielt es sich wie es mir scheint nicht viel komplizierter, als CT inklusive der fortgeschrittenen Regeln aus Book 4-8.
Man muss sich einfach ein bisschen in die Materie einlesen und herausfinden, welche Inhalte man am Spieleabend nutzen möchte und welche man (vorerst) nicht braucht..

Ich werde demnächst mal mit meinen Mitspielern und ihren Charakteren von jüngst gestarteten Traveller 4-Kampagne mal eine Runde T5 spielenIch mag Traveller 4 ganz gerne (siehe meinen letzten Blogeintrag), obwohl ich dessen viele Fehler und die lieblose Gestaltung des Grundregelwerks durchaus unschön finde. Ich mag es vor allem wegen des praktischen Task-Systems und wegen der intuitiven, einfachen Kampfregeln, auch trotz gewisser Balancing-Probleme. Es freut mich daher sehr, dass T5 im Kern die gleichen Mechanismen nutzt, diese aber neu durchdacht und erweitert, bzw. verbessert hat. So gibt es zum Beispiel den seltsamen "Half-Die" nicht mehr, der bei T4 immer mal mit geworfen werden musste. Das kommt mir natürlich entgegen und hilft mir auch, das neue System schneller zu verstehen.

Ohne Traveller-Kenntnisse (zumindest eines des anderen Grundregelwerke) kann man leider nicht so einfach Traveller5 spielen (unmöglich ist es aber sicher nicht). Als Traveller-Spielleiter ist man mit dem wuchtigen, neuesten Werk von Marc Miller aber gut beraten, wenn man z.B. mehr Details, Ideen und Material für seine bestehende CT, MT, oder T4-Kampagne sucht. T5 lässt sich sicher gut dafür ausschlachten. Vor allem die besagten Maker sind es, die T5 dann interessant machen.

Aber wie gesagt, ich denke das Werk besteht durchaus auch für sich alleine und kann detailinteressierten Hard-Sci-Fi-Fans ein tolles Spielerlebnis bieten, wenn auch einiges an Lese- und Versteh-Vorarbeit geleistet werden muss.Wenn man komplett auf T5 umsteigt, sind vor allem Hintergrund-Bücher älterer Editionen weiterhin durchaus nützlich und die Regelwerke, sowie Quellenbücher (mit z.B. Equipment- und Raumschiff-Beschreibungen) können weiterhin als Inspirationsquelle dienen. Aber nötig sind sie nicht. Mit T5 hat man ein wirklich definitives und sehr umfassendes Universalwerk zur Hand, mit dem ein motivierter Spielleiter unzählige detaillierte Kampagnen erschaffen kann, ohne jemals mehr andere Traveller-Produkte zu Rate ziehen zu müssen. Dies galt zwar auch schon für die einfachen Grundregeln von CT aus den drei Little Black Books, oder auch den Grundregelwerken der vielen anderen Editionen, aber T5 holt nochmal wesentlich mehr aus dem Ganzen raus und beantwortet viele Fragen, die bei Traveller nie so genau geklärt waren, mehr als genau. Für mich als Fan ist es eine riesige Bereicherung.






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