Sonntag, 11. September 2016

Systemvorstellung - Microlite20


Im letzten Blogeintrag habe ich euch ja bereits ein Spiel aus der Microlite20-Reihe vorgestellt. Heute widme ich mich mal dem System an sich, da es mir persönlich so gut gefällt.

M20 ist eine sehr abgespeckte Variante des bekannten D20-Systems. Dieses erschien erstmalig mit der 3. Edition von Dungeons & Dragons im Jahre 2000. Durch gelockerte Lizenzbedingungen (Open Gaming Licence, OGL) war es nun auch Fremdverlagen möglich, auf Basis dieses Regelsystems eigene Erweiterungen, Spielwelten und komplette Rollenspiele zu veröffentlichen, die regeltechnisch weitestgehend miteinander kompatibel sind. Da D&D sowieso das erfolgreichste Rollenspiel war und viele Verlage auf den Zug aufsprangen, entwickelte sich im Laufe der 2000er-Jahre das D20 System zu einer Art universalem Rollenspiel-Mainstream-System.

An sich mag ich den Gedanken, dass man ein einziges Regelsystem für alle erdenkichen Settings verwenden kann, aber da meine eigenen Rollenspielanfänge vor der D20-Zeit liegen, befürworte ich selbst einen leichtfüßigeren und offeneren Umgang mit Spielregeln. Der Nachteil von D20  war aus meiner Sicht immer, dass das System viel zu "geschlossen" war. Es beinhaltete Regeln zu allen möglichen Situationen, Charaktere hatten nicht nur Attribute und Fertigkeiten, sondern auch noch sogenannte Talente und Feats, die mit allerlei zusätzlichen Regeln daherkamen, sowie Prestigeklassen mit noch mehr Sonderfähigkeiten und Monster, die genau so komplex dargestellt wurden, wie Spielercharaktere. Es war schwer machbar, einfach Regeln wegzulassen, denn alles war total miteinander verzahnt. Eigentlich ein gutes System und toll war auch, dass es nur eine einzige Würfelmechanik hatte, die für alle Regeln genutzt wurde. Dies war in vorherigen D&D-Editionen anders. Dennoch war mir das alles viiiel zu komplex und das Spielen artete in ständiges Nachlesen, Rechnerei, Powergaming und Zahlenspielerei aus, was mit richtigem Rollenspiel nichts mehr zu tun hatte. Ich würde regelarme Rollenspiele jederzeit D20 vorziehen, wie gesagt mag ich aber die Idee eines in sich mit allen Settings kompatiblen Universalrollenspiels.

Für meinen Geschmack sollten Rollenspielregeln eine solide Mechanik haben, aber dennoch möglichst einfach sein und dem flüssigen Spiel niemals im Weg stehen, deshalb bin ich ein Fan von Minimal- und Oldschool-Rollenspielen, bei denen genau dies der Fall ist. Wenn ich als Spielleiter genug Raum vom System bekomme, um es zu interpretieren, oder mir eigene Lösungsmöglichkeiten für bestimmte Situationen ausdenken zu können, und ich nicht für jede Probe nachlesen muss, wie sie funktioniert und was genau bei welchem Würfelergebnis passiert, bin ich zufrieden. Der Spielspaß und das Rollenspiel sollen im Vordergrund stehen. Trotzdem ist es natürlich cool, wenn man dennoch einige klare Mechaniken für SCs, NSCs, Kämpfe, Magie, Charakteraufstieg u.s.w. hat.

Das Microlite20-System scheint daher wie für mich persönlich erdacht worden zu sein! Danke, liebe Spielentwickler! M20 schraubt die Regeln von D20 so weit herunter, dass man nun tatsächlich von einem rules-lite-System sprechen kann. Statt der üblichen sechs gibt es je nach Setting nurnoch 3 oder 4 Attribute. Es gibt Fertigkeiten, aber in den meisten M20-Settings fallen die sperrigen Feats und Talente weg, oder kommen nur in sehr vereinfachter Form vor. Fertigkeiten sind nur 5 bis 6 Stück vorhanden und sie sind sehr breit ausgelegt und lassen sich für unterschiedlichste Aktionen einsetzen.  Es gibt natürlich auch settingspezifische Rassen und Klassen, die man als Spieler wählen kann, aber auch deren spezielle Fähigkeiten sind nicht sonderlich komplex. Alles in allem sind die Regeln sehr gestreamlined und beinhalten nicht viele Optionen bei der Charakterentwicklung. Alles passiert, wie bei einer Maschine, ziemlich automatisch. Pro aufgestiegenem Level erhält jeder Charakter bestimmte Boni auf Lebenspunkte und Fertigkeiten und ab und zu noch weitere Fähigkeiten, die man sich manchmal aussuchen darf. Das wars. Jeder Charakter entwickelt sich also als ganzes weiter und verbessert letztenendes alles so bisschen und seine individuellen Klassen-Spezialisierungen etwas mehr. Das Würfelsystem ist sehr einfach: Man würfelt mit einem W20, zählt einen passenden Attributsbonus, den Wert einer passenden Fertigkeit und sonstige Boni, oder Abzüge aufgrund seiner Klasse, Rasse oder sonstiger Umstände dazu und vergleicht das Ergebnis mit einem vom Spielleiter vorgegebenen Zielwert. Ist der Wurf höher als dieser, hat man die Aktion geschafft. Eine gewürfelte 20 ist ein kritischer Erfolg, ein Wurf von 1 ein kritischer Fehlschlag. That´s it! Ziemlich einfach und der Spielleiter hat viel Raum, um zu interpretieren, welche Fertigkeiten und Attribute bei einer Probe nötig sein könnten. Es ist garnicht nötig, jede Situation weiter in Regeln zu fassen, denn mit dem System ist schon alles machbar! Genauso einfach ist es für den Spielleiter, NPCs und Gegner, oder auch Abenteuerorte zu erschaffen und in Regeln zu fassen, ohne dass es regeltechnisch in komplette Willkür ausartet (was bei noch minimaleren Systemen manchmal passieren kann, weil der SL fast alles selbst bestimmen muss).

Die M20-Grundregeln sind, wie D&D, an ein klassisches Fantasy-Setting angelehnt, aber es gibt eine Menge anderer Versionen, in denen andere Hintergründe benutzt werden. Alle M20-Produkte sind kostenlos und im Netz zu finden. Es gibt auch ein sehr großes PDF, in dem alle  bisher verfügbaren M20-Veröffentlichungen enthalten sind. Das coole ist: M20 ist trotz seiner Einfachheit weiterhin mit allen D20-Materialien kompatibel!! Das heisst, man kann einen großen Teil sämtlicher Monster, Zaubersprüche, Charaktere und Waffen auch für M20 nutzen! Das System ist ja an sich das gleiche. D20-Charaktere haben zwar wesentlich mehr Werte, aber da die Mechanik dieselbe ist, kann der SL auch diese benutzen, wenn er möchte, oder alles was er nicht benötigt  weglassen. Das gleiche gilt auch für Gegenstände und Zauber. Manche D20-spezifischen Regel-Kleinigkeiten können, oder sollten einfach ignoriert werden.

Charaktere sind wie gesagt sehr gestreamlined, aber meiner Meinung nach ist das kein Nachteil. Da durch das Level-Up-System ein Charakter ganz automatisch von Zeit zu Zeit in allen Aspekten besser wird und letztenendes nur aus Zahlen besteht, kann man sich als Spieler den Charakterhintergrund komplett frei selber ausdenken, ohne dass man Angst haben muss, dass dadurch ständig Zusatz-Regeln für ihn generiert werden. Man orientiert sich einfach an seinen Spielwerten und dann kann man das Bild, was man vom Charakter bekommt ausschmücken, wie man will. Bei großen Systemen, wie D20, oder Shadowrun ist das nicht ohne weiteres möglich, da der Hintergrund und die Persönlichkeit des Charakters, bis hin zu seinen Macken und Ticks, von Regeln abgedeckt werden. Dies erschwert und behindert den freien und offenen Umgang mit dem Charakter für den Spieler und lässt freies Rollenspiel oft auch wieder in blöde Regelbuchwälzerei ausarten. Schön, dass dies bei M20 nicht der Fall ist. Jeder Charakter kann von Spieler so beschrieben werden, wie er möchte und jeder Charakter kann auch prinzipiell alles tun, oder zumindest versuchen.

Und so haben wir hier tatsächlich ein gut ausgewogenes und extrem flüssiges Übersystem, mit dem schnelle Action und spannende Abende am Spieltisch garantiert sind.

Wir werden nun einmal im Monat das im letzten Blogeintrag besprochene Where no man has gone before (Star Trek: TOS-Rollenspiel) spielen, welches auf  M20 basiert, aber sicher auch mal einen Ausflug in andere Settings mit diesem System unternehmen, denn schwierig ist dies nun nicht mehr! Ich habe bereits M20-Versionen für klassische Fantasy-, Star Wars-, Superhelden-, Superspy-, Cthulhu-, Jetztzeit-, und Western-Settings entdeckt. Und meine seit Jahren herumliegenden D20/OGL-Bücher werden jetzt endlich mal für mich nutzbar, wenn auch nur als Ergänzungsmaterial. Wenn man will kann man nun sogar alle Settings miteinander vermischen und verrückte Sachen machen, wie z.B. einen Star-Trek-Charakter, einen Jedi und eine Fantasy-Magierin gemeinsam gegen Aliens, oder Orks antreten lassen. Alles ist möglich!

Ihr merkt schon: Ich bin total begeistert! Microlite20 ist für mich ein Favorit, was einfache Rollenspielsysteme angeht. In meiner Jugend wollte ich immer genau so ein System erschaffen und habe mir ohne Ende Regeln ausgedacht, aber irgendwie immer nicht das erreicht, was ich wollte. M20 kommt dem aber sehr nahe.

Schönen Tag noch!

Der Spielleiter

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